2012/06/15

Mutter sein


Schon lange bevor ich schwanger wurde, habe ich überall die gleichen Floskeln über das Mutterwerden gehört und gelesen: es ist eine dich umwerfende, bedingungslose Liebe; es ist als ob eine Hälfte deines Herzens jetzt ausserhalb deines Körpers herumläuft; es ist nichts mehr wie vorher. Diese Aussagen kamen mir immer vor wie leicht verklärte Mythen von der deutschen Mutter und ziemlich übertrieben. Jetzt, wo ich selber Mutter bin, muss ich feststellen: es IST eine bisher ungekannte Liebe und es IST als ob ein Teil meines Herzens jetzt ausserhalb meines Körpers herumläuft (Obwohl "herumlaufen" in diesem Fall wirklich stark übertrieben ist). Denn plötzlich ist man bereit, für so ein kleines Wesen wirklich alles zu tun, und ist in der Lage zu einer völlig ungekannten Selbstlosigkeit und Fürsorge. Ich zumindest. Nächtelang kaum Schlaf? Kein Problem! Völlig fremdbestimmt sein? Ist ok!
Und es ist nichts, aber auch wirklich nichts mehr wie früher.
Plötzlich  rühren mich Neugeborene auf eine ganz neue Art und Weise. Und auch ältere Kinder. Wenn ich schlimmes in den Nachrichten sehe oder lese, bei dem Kinder zu Schaden kamen, geht mir das viel näher als früher. Obwohl ich auch da nicht gerade ein Herz aus Stein hatte. Jetzt denke ich sogar bei einem 45jährigen, tätowierten Hells Angel, der was auf die Mütze bekommt: Oh nein, das ist doch jemandes Sohn, die armen Eltern!
Der Weg zum Wunschkind war bei uns aber auch alles andere als unkompliziert.
Levi kann ja mit Fug und Recht von sich behaupten, ein waschechtes Retortenbaby zu sein. Über den genauen Ablauf unserer Kinderwunschzeit an anderer Stelle mehr. Nur soviel möchte ich verraten: vor einem guten Jahr hatte ich Hormone, Punktion und Transfer hinter mir und musste nach einem positiven Schwangerschaftstest erstmal zwei Monate liegen, weil Blutungen auftraten und befürchtet wurde, dass ich den kleinen Wurm verliere.
Das war anstrengend und nervig und ich musste feststellen, dass ich so manche Britt-Folge ohne mit der Wimper zu zucken doppelt gesehen habe ("Leute, bevor es zu spannend für euch wird- er ist der Vater..."), aber es hat sich natürlich sowas von gelohnt! Und ich würde jederzeit auch die doppelt und dreifache Zeit liegen, wenn wieder so ein Knaller wie Levi dabei herauskäme. 
Mit der neuen Rolle als Mutter kamen neben dem überwältigenden Gefühl von Liebe auch neue, völllig ungekannte Ängste. Meine Tante ist im Alter von 35 Jahren an Krebs gestorben und hinterliess zwei kleine Jungs. Ich bin jetzt auch 35 und der Gedanke, mein Kind einer ungewissen Zukunft zu überlassen, ist für mich unerträglich. Obwohl da viele Menschen wären, die sich wunderbar um ihn kümmern würden, könnte doch niemand seine Mutter, mich, ersetzen. So arrogant bin ich dann doch!
Natürlich hat er einen tollen, liebevollen Vater. Und dann sind da Großeltern, Tanten, Onkel, und Freunde, die alle da sein würden. Aber die Mutter ist doch unersetzlich, oder? Es muss ja nicht zwingend die biologische Mutter sein, aber jedes Kind braucht doch eine Mutter, oder eine Mutterfigur! Eine, die es bedingungslos liebt, tröstet, unterstützt, anfeuert und auffängt. Eine die geduldig zuhört, Pflaster klebt, Plätzchen bäckt, Gechichten erzählt, Lieder singt und, ohne mit der Wimper zu zucken, an das Spielzeugtelefon geht wenn es klingelt. Die einen immer spitze findet, auch wenn man mit fünfzehn Make Up wie Alice Cooper und bodenlange Ledermäntel trägst, sich mit achtzehn  einen grünen Ziegenbart stehen lässt und dann zu allem Überfluss mit zwanzig beschliesst, in die FDP einzutreten (das wäre ein hartes Brot, würde ich mir aber mit einer Phase schönreden!). Das klingt jetzt ja doch sehr nach der deutschen Mutter...egal.
So habe ich jetzt eine ganz neue Angst um mich. Nicht wegen mir, sondern wegen Levi. Er braucht mich. Deshalb werde ich jetzt noch mehr als vorher alle Vorsorgen wahrnehmen und mich auch mal ordentlich durchchecken lassen. Sicher ist sicher!

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