Kerstin war meine erste Freundin in Hamburg. Ich bin zwar ein paar Monate vor ihr dort gelandet, habe mich aber am Anfang brav auf mein neues Studium an der Akademie Mode Design konzentriert und bin jedes Wochenenende nach Hause gefahren. Als Kerstin ankam, voller Lebensfreude, Energie und dem Drang etwas zu erleben, war die ruhige Zeit vorbei. Was hatten wir für einen Spaß zusammen! Kerstin konnte soviel trinken, dass sie mit dem Barhocker irgendwann einfach hintenüber kippte. Im Fallen schaffte sie es noch, auf einen Fremden zu zeigen und zu nuscheln:"der hat mich geschubst!".
Kerstin konnte zu Gilbert Becauds "Natalie" Polka tanzen bis der Boden wackelte und war sich nicht zu schade, noch ein, zwei Spagats in der Luft einzubauen.
Mit Kerstin schaffte ich es, eines morgens bei ihr im Bett mit zwei uns bis dahin völlig unbekannten Männern aufzuwachen. Selbstverständlich waren wir angezogen, wir sind ja Damen! Kerstin trug sogar einen hautengen blau-roten Skipulli aus den 70ern, den sie sich vor dem Schlafengehen noch schnell übergeworfen hatte. Es war übrigens August. Diese beiden Jungs sollten Sterne am Musikhimmel und gute Freunde von uns werden, aber das ist eine andere Geschichte.
Wir haben nächtelang an ihrem WG-Küchentisch in der Feldstrasse gesessen und "evaluiert" d.h. literweise Wein getrunken und über das Universum / die Männer / Politik philosophiert. Selbstverständlich ohne brauchbares Ergebnis.
Wir haben zusammen hinter dem Tresen der Weltbühne Cocktails für die Rockstars der Stadt gemixt, um dann am nächsten Tag versteckt hinter riesigen Sonnenbrillen verkatert an den Strand von Timmendorf abzurauschen. Zusammen haben wir Yvonne kennengelernt, die herzlichste Transe vom Kiez, die im Rettungsring eigentlich für die Getränke, aber in Wirklichkeit für die Unterhaltung der Gäste zuständig war. Unvergessen ist das Gesicht unseres männlichen Begleiters, als sie ihm (zum ersten Mal dort und völlig ahnungslos) zuraunte, er könne sich ruhig auf ihren Schoß setzen, denn "zum Glück nehm´ich die Pille, Süßer..."- Herrlich!
Seitdem ist viel passiert. Wir haben beide geheiratet, lustigerweise innerhalb von drei Wochen, und ich habe ein Baby bekommen. Wir haben die Jobs gewechselt und ich sogar die Stadt. Wir sind beide älter und ein bisschen ruhiger geworden. Etwas hatten wir uns aus den Augen verloren (aber nicht aus dem Sinn), und deshalb war ich höchst begeistert als sie sich über Pfingsten mit ihrem Mann Andrej bei uns zu Besuch ankündigte. Und, was soll ich sagen, es hat sich nix verändert! Gut, die Themen am Tisch sind etwas erwachsener, jetzt sprechen wir auch mal über Hauskredite und unseren Nachwuchs (die beiden: ein Kater; ich: Levi), und das ist ja auch gut so-man ist ja nicht ewig 20 und kann sich stundenlang über die witzigsten Ereignisse der letzten Nacht austauschen (wer ausser uns hat es wohl jemals geschafft, im Blauen Peter auf dem Kiez Hausverbot zu bekommen???Ohne sich zu erinnern wofür????), aber im Grunde war alles wie früher. Die schmutzigen Witze! Die Lautstärke! Ihr donnerndes Lachen! Es war einfach herrlich. Leider blieben die beiden nur eine Nacht, viel zu kurz wenn man sich zwei Jahre nicht gesehen hat. Ich muss unbedingt diesen Sommer mal nach Hamburg fahren- ich vermisse die Stadt-und sie mich auch, da bin ich mir sicher! Ich habe ja schonmal geträumt, ich würde einfach durch die Strassen der Schanze schlendern, an meiner ehemaligen Wohnung vorbei, über das Schulterblatt Richtung Pferdemarkt...ach, das war schön!
Und Dir, lieber Levi, kann ich nur sagen: jeder braucht eine Tante Kerstin. Glück gehabt!
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